Unbekannte Koericher Hexenprozesse (1653)

Artikel von Antoinette Reuter in nos cahier(2003)  numero spécial "Canton Capellen" :

Im letzten Vierteljahrhundert hat die Erforschung der Hexenprozesse europaweit große Fortschritte gemacht. Der interdisziplinäre Ansatz, wie er u.a. in Arbeitskreisen an der Universität Trier und an der Katholischen Akademie in Stuttgart praktiziert wird, hat viele neue Erkenntnisse gebracht. So konnte z. B. die Zahl der Prozesse auf statistisch vertretbare Zahlen zurückgestuft werden, deren Ausbreitung vom westlichen Alpenraum nach Norden und Osten zurückverfolgt wird. 1 Textkritische Studien haben die Entstehungsgeschichte der Hexenliteratur durch­leuchtet.2 Mit der gleichen Sorgfalt wurde das Schrifttum der Prozessgegner un­ter die akademische Lupe genommen, die Viten von Befürwortern und Gegnern wurden wissenschaftlich seziert.3 Auch die gesellschaftlichen Hintergründe der Prozesse sind neu untersucht worden. So wurde z.B. die Instrumentalisierung der Prozesse zu anderen Zwecken, etwa der Eliminierung von politischen Gegnern,
Wirtschaftlichen Konkurrenten oder religiösen Widersachern, aufgedeckt.
Auch an Luxemburg ist die wissenschaftliche Entwicklung nicht vorbeigegangen. So wird die seinerzeit von Nicolas Van Werveke erstellte Hochrechnung von 20 000 bis 25 000 Prozessen für das Herzogtum Luxemburg außer in sensationshungrigen Mediendarstellungen nicht mehr geführt.4

1 Sehringer Wolfga ng, Hexen, Glaube, Verfolgung, Vermarktung, München 1998.
2 In diesem Feld hat u.a. der Altphilologe Othon Scholer Vorbildliches geleistet, siehe in Voltmer Rita und lrsigler Franz, Hg ., lncubi, succubi, Hexen und ihre Henker bis heute, Lu­xemburg, 2000.
3 In diesem Feld hat sich z.B. die Friedrich-Spee-Gesellschaft in Trier große Verdienste erwor­ben. Sie gibt seit 1986 ein Jahrbuch mit einschlägigen Beiträgen heraus.
4 Mit dieser Feststellung sollen keineswegs die Verdienste von Nicolas van Werveke entwertet werden, wie nach einer Fernsehsendung von Nachkommen des großen Luxemburger Historikers moniert wurde. Zunächst möchte ich mit Lucien Febvre feststellen, dass keine historische Arbeit für die Ewigkeit bestimmt ist, sondern mit der Zeit der Korrektur bedarf. Des weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass allgemein in Europa die Prozess­zahlen heruntergestutzt wurden, weil sich in den neueren Historikergenerationen ein neues , rigoroseres Bewusstsein für den Umgang mit Statistiken durchgesetzt hat. Van Werveke verdient zweifellos Würdigung sowohl für seine nach damaligen Standards gewissenhafte Forschung, als auch für seinen gesellschaftlichen Einsatz. Hier sei an seine Unterstützung des fortschrittlichen Projekts eines Mädchenlyzeums und an seine Limpertsberger Unterschriftenaktion gegen die Hinrichtung des spanischen Pädagogen Francisco Ferrer (1909) erinnert. Im „Kulturkampf " zwischen liberalen und ultramontanen Kräften hat gerade seine akkurate Aufarbeitung .,cumira", aber „sine studio " von Tabuthemen. Wie es die Hexenprozesse zu seiner Zeit waren, van Werveke Anfeindungen aus dem ultra klerikalen Lager eingebracht.
5 Die Trierer Forschungen erneuern u.a. die Fragestellung von Dupont-Bouchat, Marie-Sylvie: La repression de la sorcellerie dans le duche de Luxembourg. in: Dupont-Bouchat Marie­ Sylvie, Frijhoff Willem, Muchembled Robert, Proph etes et sorciers dans les Pays-Bas, XVJe_ XV /1/ e siede, Paris, 1978, S. 41- 154. Die qualitative Auswertung von Dupont-Bouchat be­ ruht auf wenigen, dazu untypischen Beispielen. Die These der Hexenprozesse als kirchlich­ staatlichem Disziplinierungsinstrument beruht hauptsächlich auf Fällen der geistlichen Herr­ schaften Sugny und Saint-Hubert. Nun gehört Sugny in dem untersuchten Zeitraum nicht zu Luxem burg, sondern zu m Herzogtum Bouillon, und Saint-Huber t entzieht sich demon­strativ der vorgeschriebenen Rechtsordung, um seine Unabhängigkeit vom Herzogtum Luxemburg zu dokumentieren. Die für Luxemburg wichtigen deutschsprachigen Prozess­akten wurden nicht ausgewertet.

Die Arbeiten der Trierer Gruppe haben verschiedene Aspekte der Luxemburger Prozesse neu beleuchtet. Es sei besonders auf die bemerkenswerte Bearbeitung des Falles Johann Schweisthal aus Bitburg an Hand von den in Brüssel neu entdeckten Ak­ten durch Boris Fuge hinge wies e n.5

Andrerseits lässt sich nicht verbergen, dass die Quellenlage in Luxemburg dem wissenschaftlichen Impetus schnell Schranken zuweist. Es gibt zu den Prozessen viele Quellen, etwa Rechnungsbücher, aber nur eine geringe Auswahl von eigentlichen Prozessakten. 6 Diese beschränken sich zudem auf eine wenige Orte, wie z.B. Neuerburg, Bitburg, oder auch Echternach. 7 Umso größer war meine Über­raschung, als ich in den „Archives de l' Etat" in Arlon auf neues, meines Wissens bisher unveröffentlichtes Material stieß, nämlich die „Criminal gepflogene hand­lung zwischen Joansen Meinershagen amtshalber Cleger Lannen Sünne von Koerich Zauberei Lasters beklagten" aus dem Jahre 1653.

8 Der gleiche Fundus enthält Teile eines Prozesses aus dem gleichen Jahr gegen Marey Seiler, ebenfalls aus Koerich. Das Dossier Lannen ist zweifellos die vollständige Luxemburger Pro­zessakte: Von der einleitenden Amtsklage über das Inventar der Güter der Ange­ klagten bis hin zu kleinen Zetteln, auf denen die Zeugen den Erhalt ihrer Entschä­digung quittieren, sind fast alle Verfahrenselemente erhalten. Lediglich das Origi­nal der „advis" der laut Verfahrensordnung bestellten juristischen Experten fehlt.9 

6 Die bekannten Quellensam m lun gen befinden sich im Stadtarchiv Trier und in dem Manus­ kriptfundus der «Section historique» in Luxemburg.
7 Die Echtemacher Fälle von 1689/1690 wurden von Kmec Sonja untersucht: Witchcraft TN­ als in the Duchy of Luxemb ourg, Echternach 1679/ 1680, /v\A Dissertation (September 2000), University of Durham.
8 Archives de l'Etat, Arlon (AEA), Fonds de Marches de Guirsch 1-100.
9 Zur Prozessordung, siehe Rita Voltmer und Herbert Eiden, in: Voltmer Rita, lrsigler Franz, Hg,
lncubi, succubi, op.cit., S. 49 -59.

In den Akten eingelassene so genannte „Urgichten", das heißt unter der Folter erpresste Beschuldigungen weisen auf weitere Prozesse hin und zeigen, dass in den Jahren 1640-1653 Hexenprozesse im Raum Koerich, Greich, Siebenborn, Elter, Steinfort endemisch waren und durch die erzwungenen Geständnisse im­mer wieder von Herrschaft zu Herrschaft übersprangen. landesweit ordnen sich die Koericher Prozesse in eine Verfolgungswelle ein, die etwa in der gleichen Zeit­ spanne verschiedene Orte ergreift. 10 Dies zeigt, dass auch, wenn die Verfolgung seit dem Höhepunkt der Jahre 1629-1632 im Abklingen ist, dieser Rückfluss nicht linear, sondern über immer wieder lokal auftretende Prozesswellen erfolgt. Besonders dramatisch an der Koericher Prozesswelle ist, dass verschiedene Opfer, wie z.B. Marey Seilers, mehrmals belangt wurden, bevor es zur Hinrichtung kam, und dass sich unter den Verurteilten Nachkommen jener Menschen befin­den, für die sich Heinrich Gaderius, Pfarrer in Koerich und Sterpenich, als früher Gegner der Hexenprozesse eingesetzt hatte.11

1. Die Einleitung des Verfahrens
Der Fall Lannen Sünne lässt die ganze schreckliche Tragik der Hexenprozesse klar zu Tage treten, denn es handelt sich dabei um einen „ordentlichen'' Prozess, der peinlich genau nach der Prozessordnung geführt wurde. 12 Es gibt nach der damals herrschenden Rechtsordnung keine Missstände anzuführen. Klar tritt zu Tage, dass, wie der Prozessgegner Friedrich Spee beklagt, gerade die Prozess­ ordnung mit der unabdingbaren Folter die Hexe machen. 13
Der Prozess gegen Lannen Sünne wird am 30. August 1653, ,,exofficio", von Amts wegen von Johann Meinertzhagen, dem Amtmann der Grevenherrschaft, vor dem zuständigen Koericher Schöffengericht eingeleitet.L 4 Meinertzhagen ver­tritt die Interessen der verwitweten Gräfin von Suys, Pfandherrin über die Grevenherrschaft.15 Der Auftritt eines Meinertzhagen in Koerich ist erstaunlich,kann es sich dabei doch nur um einen Spross der bekannten Kölner Bank- und Bergherrendynastie handeln.

10 Quellensammlung in Archives Nationales, Luxemburg (ANL), Fonds van Werveke.
11 Reuter Antoinette: Heinrich Gaderius, streitbarer Pfarrer von Koerich (1607-1621), in: 250
Joer Käercher Kii rch , 1747-1997, Luxembou rg, 1999 .
12 Siehe 1O; die Prozessführung beruht hauptsächlich auf Verordnungen von 1563, 1573 und 1591. Wichtigstes Ergebnis diese r Vorschriften ist, dass vor jedem entscheidenden Rechts­ akt die Prozessakten an den Provinzialrat verschickt werden müssen, der sie dann an rechts­ gelehr te ,.advisoren" weiterleitet.
13 Zu den Gegnern der Hexenprozesse, siehe Dr. Gunther Franz, in, Voltmer Rita, lrsigler Franz:
lncubi, succubi, op.cit., S. 143- 154.
14 Zu den Schöffengerichten, siehe van Werveke Nicolas: Kulturgeschichte des Luxemburger Landes, Bd. l, Neue Aufl. Hg. Carlo Hury, Esch/Alze tte, 1983.
15 Gengier Nie, Koerich, seine Kirche und seine Schlossherrschaften, in: Ons Hemechl,Luxemburg, 1915 ; die Herrschaft gehörte ursprünglich den von Rollingen, wurde aber nach dem Ableben von Peter Ernst v. Rollingen, Rittericher und Erbmarschall des Herzogtums, wegen hoher Schulden verpfändet. An die von Suys wird es 1641 weitergereicht.

.16 Vielleicht erklärt sich diese Präsenz wie auch die der von Suys aus den Kriegsläuften: Der Graf von Suys diente im Dreißigjährigen Krieg als Truppenführer bei den Kaiserlichen. 17 Die Prozessakten erwähnen mehrmals Truppeneinfälle, z.B. die der „crobatten", Kroaten, im Jahre 1636. Möglicherweise spielt auch das Aufkommen der Eisenverarbeitung im Koericher Raum eine Rolle. So hatte bereits 1620 Thomas Bidart, der Ansemburger Hüt­tenherr, Interesse an dem Waldreichtum der Herrschaft gezeigt.18 Die Beziehungen der Dorfgemeinschaft sind zur Zeit der Prozesse denkbar schlecht. Seit der Zeit der Raville liegt man im Streit um den Kirchenzehnten, der laut Dorfgemeinschaft zum größten Teil der Kirchenbruderschaft zusteht, von der Herrschaft aber abgezweigt wir d. 19
Zu Gericht sitzen Gerichtsschöffen, also hierzu bestellte Mitglieder der Dorf­gemeinschaft. Erwähnt werden Schmidst Jacob als „surrogiter", vertretender Hochgerichtsmeier, Hammels Diderich, Frommen Michel und Sirvas Thonus so­ wie der Hochgerichtsschreiber Gaspar Heidhausen. Eine Randnotiz auf der er­sten Prozessseite lässt aufhorchen, ,,weil die übrigen scheffentheils selbsten be­schuldigt oder ihre weiber, halt man sich mit vorgemelten vier gerichstpersohnen diesmal muss patientieren''. Vergleicht man die Zusammenstellung des Gerichts mit einer zufällig im Zusammenhang mit einer Feldbegehung von November 1652 erhaltenen Schöffenliste, fehlen die Namen von Johannes Lehnes und Jacob Schneider.20
Meinertzhagen belegt seine Klage mit folgenden Punkten:
• Die Lannen Sünne habe den Untertanen Schaden am Vieh zugefügt.
• Sie sei seit vielen Jahren des Zaubereilasters verdächtig.
• Sie sei von 1653 in der Herrschaft Elter hingerichteten Personen als Komplizin,besagt", angegeben worden.

16 Die Meinertzhagen halten seit 1629 im Verbund mit anderen Kölner Geldgebern umfang­reiche Bergrechte in der Eifel, dazu Schmitz L.: Die Bleibergwerke bei Mechernich und Commern, Mechernich-Commern, 1882.
17 Als solcher erwähnt bei Lascombes Frant;:ois.
18 Gengier Nie, wie Fußnote 15.
19 ANL, Conseil provincial 828, eine „enquete" vom 10.11.1654, fasst rückblendend den Streit zusammen; ich danke Annick Chätellier-Schon für den Hinweis auf diese Akte.
20 Müller-Wirth Henriette und Müller Jean-Claude: Eine Koericher Grenzbegehung von 1652 mit Rückblenden auf das Leben in Steinfort um 1610 in De Familjefuerscher 12/1987, S. 31-33.


21 Die „Pferdeknechte" kommen als Multiplikatoren für Gerüchte in vielen Luxemburger Hexenpozessen vor. Bei dieser Gruppe handelt es sic h um die männliche Dorfjugend, die nachts abwechselnd die Pferde hütet, für die im Gegensatz zu der bei Schweinen oder Scha­ fen üblichen Praxis kein Hirt bestellt wird.
• Sie habe ihrer Tochter die Zauberei beigebracht. Diese habe es den „Pferde­knechten" erzählt, ,,wofür ir vater Lannen Cless sie erbärmlich tractiert und ge­schlagen habe". 21
Das Gericht gesteht Meinertzhagen die „präparatorische information" zu. Insgesamt werden zur Sache Lannen zwölf Zeugen gehört.
Der erste Zeuge, Schiltz Johann, Bruder der Lannen Sünne, ist 43 Jahre alt. Er bringt vor, dass der 1646 hingerichtete Bergs Ostgen von Besslingen seine Schwester bereits „besagt" habe, ,,sie seye mit einem grünen rock auf dem danz­ platz gewesen". Des Weiteren gibt er an, dass ihm ein Pferd tobsüchtig gewor­ den sei. Er habe bei den „capucinern in arle" ,,geistliche mittel geholt" . Diese raten ihm, keinen fremden zu dem Pferd zu lassen. Nun habe aber seine Schwester das Tier angeschaut, ,,während sie vor der tür dem kind läuse suchte". Das Pferd sei daraufhin verendet.
Die zweite Zeugin, die 46 Jahre alte Marey Schiltz, Hausfrau von Johann Schiltz, hat von Bieren Claus von Hondlingen gehört, dass der Müller Thielen Peter, der,,könig der zauberer", die Lannen „beschwetzt", als Komplizin angegeben hat.
Die dritte Zeugin ist Beckers Berbell aus Besslingen, 37 Jahre alt. Ihre Schwester Anna war in erster Ehe mit Schiltz Johann verheiratet. Zur Zeit des Kornschnitts lag sie im „kindbeth". Die Lannen schickt ihr gebratenes Ferkel und Bier. Dar­ aufhin erkrankt Anna und stirbt nach „jahr und tagh". Acht Wochen vor ihrem Tode hatte die Kranke nach „geistlichen mitteln" geschickt. Doch die Lannen sucht sie im Koericher Schloss, wohin sie wegen der Kriegsläufte geflüchtet war, and auf und inficiert” sie erneut mit ihrem „athem ,,Geistliche leuth" stellen fest, dass ihr nicht mehr zu helfen sei, weil sie „under solche böser leuthe angesicht gerathen".
Der vierte Zeuge, Schiltz Sondag aus Besslingen, 59 Jahre alt, Bruder der später ebenfalls wegen Hexerei verbrannten Marey Seylers, berichtet, dass er seiner Schwester und der Lannen in Luxemburg vor der „stadtpfort" mit einem Pferde­ wagen begegnet sei. Er kann nur seiner Schwester einen Platz anbieten. Das Pferd erkrankt daraufhin, ist während acht Tagen schwach und tollt, fällt dann tot um. Ein „dranck" aus der „apothek" bleibt ohne Wirkung.
Goebels Heyn, 38 Jahre alt, Grundschöffe in Elter und fünfter Zeuge, weiß zu be­ richten, dass der verurteilte Thielen Peter die Seylers und die Lannen aus Koerich,

Sowie die Marey Wirth aus Hagen,am büschelgen hinder Koerich bei der schantzen'' am Tanzplatz gesehen habe. Die ebenfaHs hingerichtete Lux Margarethe aus Hondlingen habe die Lannen „beschwetzt";dieselbe Lannen Sünne bedde in der kirchen als wann sie die heilige von dem altar abbeden würde, wehre nur lauter falschheit um die leuth zu bedrügen". Die in Siebenborn hingerichtete Kitzingersche habe sie ebenfalls besagt.
Sirvas Thonus aus Gitzingen, der sechste Zeuge, Hochgerichtsschöffe in Koerich, 36 Jahre alt, berichtet, dass er vor zwanzig Jahren mit Peilers Claus ihre Eltern, die wegen der Kriegsläufte im Lannen-Haus „eingelagert" waren, abgeholt hat. Die Lannen Sünna gab Peilers ein Stück Lebkuchen. Daraufhin erkrankt Peilers und liegt vier Tage „contract'', gelähmt, darnieder. Vom Bruder der Lan­ nen will er wissen, dass diese auch ihren Vater Lannen Paul verhext habe.
Der siebente Zeuge, Frommen Michel, ebenfalls Gerichtsschöffe, 57 Jahre alt, behauptet, die Lannen habe ihm ein Pferd verzaubert, indem sie es angeschaut habe, als er von der Mühle her an ihrem Haus vorbeikam. Des Weiteren habe sie versucht, die Gerichtsherren über einen eventuellen Verdacht gegen sie auszu­ fragen, als gegen Meyers Martgen in Koerich verhandelt wurde. Sie habe sich lustig gezeigt und den Gerichtsherren tüchtig aufgetischt.
Der achte Zeuge, Bieren Michel, 44 Jahre alt, aus Hondlingen, ,,Kirchensyner" zu Hagen, berichtet, dass Marey Wirths vor zwei Jahren ein erstes Mal der Hexe­ rei angekJagt war. Nach dreimaJiger Folter wird sie aus der Herrschaft gewiesen. Sie kehrt zurück und wird verbrannt, jedoch nicht ohne vorher den Pfeiffer Dit­ gen und die Lannen Sünne aus Koerich „besagt" zu haben.
Die neunte Zeugin, Schenett Bieren, 38 Jahre alt und in erster Ehe mit einem Bruder der Lannen ve rheiratet, bestätigt die Aussage ihres Gatten.
Marx Johann aus Koerich, 17 Jahre alt und zehnter Zeuge, berichtet, er sei an einem Abend mit den „Pferdsjongen" in einer Wiese hinter Koerich gewesen. Magdalena, die älteste Tochter der Lannen, sei auch mit ihren Pferden dabei gewesen. Diese habe behauptet, sie könne zaubern und habe geholfen, die Eicheln zu verderben. Ihr Vater habe sie daraufhin geschlagen.
Leners Peter, der elfte Zeuge, 16 Jahre alt und ebenfalls aus Koerich, bestätigt den Bericht von Johann Marx.
Hammels Dietherichs älteste Tochter Maria, 30 Jahre alt und zwölfte Zeugin, dient bei den Lannen. Sie war Zeugin eines Streites der Magdalena Lannen mit der Frau des Kuhhirten wegen der Geschichte mit den „Pferdsjongen". Die Lannen habe daraufhin geweint.

Zwischen dem 30. August und dem 2. September hatte man die Anhörung der Zeugen unterbrochen „wegen dem Sontag", und weil ,am ersten September wegen Schabermess die leuthe auf dem Marckt gewesen".
Am 4. September treten Schmidt Jacob, Hammels und Diederich zusammen. Meinertzhagen legt ein „extract" aus dem Prozess des in Elter verbrannten Müller Thielen Peter vor. Dieser hat gestanden, die Lannen im „braunen kleid und mit schwarzer schürze" auf dem Tanzplatz gesehen zu haben.
Aus den Zeugenaussagen lassen sich einige Schlüsse ziehen. Zunächst fällt auf, dass die meisten Zeugen aus dem direkten Familienumfeld der Verdächti­gen kommen. Andere sind Mitglieder des Gerichtes selbst. Das im Rahmen des Verfahrens erstellte Inventar der Besitztümer der Familie Lannen zeigt, dass es sich hier um eine eher begüterte Bauernfamilie handelt. Des Weiteren rechnet sich der Ehemann Claus Lannen laut Bruderschaftszwistes nicht zu den „ein­ fältigen Bauern", da er lesen und schreiben kann. Eine Kunst, die neben ihm nur drei andere Bewohner des „Kirchspels" beherrschen!22 Man kann des­wegen nicht ausschließen, dass in der Koericher Sache mittels des Katalysa­tors Sozialneid ein Hexenprozess angefacht wurde, um einen lästigen Wider­sacher aus dem Feld zu schaffen. Die Verklagung der Ehefrau bedeutet näm­lich wegen der hohen Verfahrenskosten nicht selten den sozialen Abstieg und Ruin des Ehemannes.
Was den Inhalt der Zeugenaussagen betrifft, lassen sich uralte Vorstellungen über das „Anhauchen" von Krankheiten oder den „bösen Blick" feststellen. 23 Sie werden von Mitgliedern der Kapuzinerniederlassung geteilt und den sie Konsul­tierenden als Erklärungsmuster angeboten. Die Stellung dieses bei der Land­ bevölkerung sehr populären Ordens zu den Hexenprozessen scheint bisher noch nicht untersucht worden zu sein, eine Lücke, der sich die Forschung an­ nehmen soJlte. 24 Zu Tage tritt auch das für Hexenprozesse typische Uminter­ pretieren von alltäglichen oder traditionellen Handlungsweisen: Wer viel betet oder seiner Nachbarin das übliche Kindbettpräsent schickt, macht sich unter Umständen verdächtig.

22 Wie bei Fußnote 19.
23 Ausgiebig belegt bei Delcambre Etienne: Le concept de La sorcellerie dans le duche de Lor­
raine aux X.Vfe et XV /Je siecles, 3Bde, Nancy, 1948-1951.
24 Reuter Antoinette: Le pretre, une figure singuliere de guerisseur dans les proces de sorcel­ lerie luxembourgeois, in: Guerisseurs d'hier et d'aujourd'hui. Bastogne, 2003, S.4]-46.
 

2. Das Verfahren
Am 7. September wird die Niederschrift im Original vom Gerichtsboten zum Pro­ vinzialrat in Luxemburg getragen. Der Ratspräsident bestellt die Anwälte Belva und Bergerot zu „advisoren", Rechtsberatern.
Am 11. September gestehen diese dem Gericht den .,leiblichen Angriff", die Verhaftung der Verdächtigen mit „annotation" der Güter zu. folgende Punkte seien zu beachten:
• Die Klageartikel sollen vorliegen.
• Die Verdächtige soll ohne „procurator", Verteidiger, gehört werden, aber spä­ter, wenn sie es möchten, einen solchen „aus Arie" oder Luxemburg zuge­standen bekommen.
• In allem soll der Prozess der „criminalischer ordnungh gemäss vollzogen werden".
• ,,Extracte" sollen eingeholt werden, die darin erwähnten Namen von noch nicht gerichtlich belangten Personen durch den Buchstaben „x" ersetzt werden.
• Für den bereits eingereichten „extract" muss diese Prozedur nachgeholt werden.
Am Abend des 15. September wird die Lannen von drei Schützen, im Beisein von Meinertzhagen und vier Schöffen, abgeholt und ins Schloss gebracht; Güter, die der Sünne und dem Claus Lannen gemeinsam gehören, werden gewissenhaft annotiert.25 Zwei Kisten, die man wegen des Krieges bei dem Stadtrichter in Luxemburg in Sicherheit gebracht hatte, können nicht geöffnet werden, weil die Schlüssel fehlen. Sie werden zwecks späterem Inventar versiegelt. Sünnen Claus will gleich teilen, doch Meinertzhagen weist ihn zur Ordnung: ,,ihm stehe noch nichts zu".
Am gleichen Tag lehnt die Lannen Sünne den Schreiber Heidhausen wegen Befangenheit ab, da sie mit ihm wegen eines Bienenschwarmes im Streit liege. Heidhausen tritt zurück und wird durch den Notar Stu11 ersetzt.
Am 16. September verzichtet sie „auf defension". Auch ihr Ehegatte, den das Gericht kommen lässt, lehnt nach Überlegung einen Verteidiger für seine Frau ab. Er will „wenigstens einen Teil für seine Kinder retten". Das Gericht weist der Lannen, von Amts wegen, Marx Sonntag 26 zu, den sie jedoch ablehnt. Der Prozess wird bis zum 23. September ausgesetzt, weil man inzwischen gegen die Ma­rey Seylers verfährt und sie am 22. September verbrennt.

25 Zu der Prozedur siehe Rita Voltmer und Herbert Eiden, wie bei Fußnote 9.
26 Marx Sonntag ist wohl kein Rechtsgelehrter. Im Zehntstreit wird er als Schwiegersohn des Heuert Marx geführt, der wie Lannen Claus zu den Widersachern der Herrschaft gehört.27 Die gleiche Auswahl an Pflanzen und Materialien findet man in den „Teufelsgeisseln", Amu­lette, die den „bösen Feind" abhalten sollen. Reuter Antoinette: Peurs d'ici, remedes d'ail­ leurs, in Piconrue, un Musee pour le futur, Bastogne 2000, S. 163-168.

Der Teufe] nähert sich ihr in Gestalt eines „Geistlichen Herrn", den sie später als den verstorbenen Oheim ihres Gatten und gewesenen Pfarrer in Falkenberg identifiziert. Sie sagt allen Heiligen ab, außer der heiligen Jungfrau und Sankt Margaretha28• Zweimal im Jahr fährt sie auf einem Bock zum Tanzplatz, donnerstags gegen ein Uhr nachts „mit ihren täglichen Kleidern und ihren wirklichen Leib "29• Der oberste Teufel „trägt einen langen schwarzen Rock" und hat „ein schwarzes Gesicht wie ein Spanier". Er hat viele „Trabanten". Man isst Speisen ohne Salz, die den Geschmack von„Schlest'', Baumrinde haben. Wein und Bier munden wie „Lauge". Man tanztNeben dem „extract" von Müller Thielen Peter liegen nun weitere „Besagungen" vor, nämlich die von Weiblers Anna und Seylers Marey. Man schickt erneut auf,avis" nach Luxemburg. Am 26. September verhängen Belva und Bergerot Fol­ter. Am 2. Oktober exorziert Pfarrer Otweiler aus Koerich den Ort der Folter mit,,Rauthen, Alznee, Weyrauch, Wachsen Lichth, gesegnet Broth und Wasser"27. Man zieht der Angeklagten das „rohe Hemd" an, zeigt ihr die Instrumente des Scharfrichters. Man gibt ihr auf nüchternen Magen durch den „Herrn Pastor" ge­segnetes Weißbrot und Weihwasser ein. Der Hochgerichtsmeyer lässt sie nach­sprechen: ,,Ich widersage dem bösen feindt, dem leydigen Teuffel, verwünsche, verfluche und vermalledeye densemben mot allen seynen zusagh und anhangh, verlobe mich jetzo dem allmechtigen Gott seiner aller gebenedeiten Mutter und Jungfrau Maria und allen lieben heiligen Gottes mir die gnadt zu geben die wahr­heit zu bekennen." Der Scharfrichter examiniert sie. Sie ist an der rechten Brust und am Arm „vom Feindt gezeichnet". Der Henker steckt „eine Spingel" in die Male. Es fließt kein Blut. In kaum einem anderen Luxemburger Hexenprozess wird das Vorbereitungsritual für die Folter so peinlich genau beschrieben. Der Bericht lässt deutlich die normierende Wirkung der Hexentraktate erkennen. Die gleiche Bemerkung gilt für das nun folgende Geständnis der Lannen Sünne.
In der Hoffnung, der Folter zu entgehen, gesteht die Angeklagte den von den Zeugen vorgebrachten Schadenzauber. Sie bekennt sich auch zu dem in dem„extract" von Müller Thielen Peter erwähnten Sabbatbesuch an der „Koericher Schantzen". Da sie sich jedoch weigert, ,,complices" zu „beschwetzen", hängt man sie mit gebundenen Armen in die Folter und „zieht sie auf". Sie bleibt unge­ständig, obschon der Henker die Folter verschärft, indem er einen „Spernckel" zwischen ihre zusammengebundenen Füsse steckt und daran zieht. Die Folter wird unterbrochen, und am nächsten Tag fortgesetzt. Dies ist ein von den Ge­richten gängig angewandter Kunstgriff, um die rechtliche Fassade aufrechtzuerhalten. Vor einer zweiten Folter hätte man die Akten nach Luxemburg schicken müssen. Gibt man vor, die Folter zu unterbrechen, kann man diese Prozedur umgehen, da es sich angeblich um die gleiche „Sitzung" handelt.
Aus Angst vor einer erneuten Folter bricht die Angeklagte nun völlig zusammen. Sie bekennt nun, im Jahr nach dem „crobatten handel1", um Pfingsten krank im Bett gelegen zu haben,voller Traurigkeit wegen ihres erlittenen Schaden, so sie on den crobatten empfangen" „einen ronden Tanz" und „vermischt" sich „fleischlich". Als Komplizen benennt sie sämtliche Ehefrauen der Hochgerichtsschöffen sowie bereits hingerichtete Personen.
Dann verlangt sie den „Pater Wintrich", ,,Knodeler zu Luxemburg", den man ihr als Beichtvater holt. Am nächsten Tag bleibt die Lannen bei ihrem Geständnis, zieht aber die Anklage gegen die Schöffenfrauen zurück. Sie habe aus „Neidt und Hass" gehandelt. Sie „besagt" nur noch solche Personen, die bereits hingerich­tet sind. Diese Haltung wirft die Frage nach einer Einwirkung des Rekollekten Wintrich auf, der auch im Fall der Marey Seylers gerufen wurde. Hat sich aus christlicher Barmherzigkeit bei Mitgliedern dieses Ordens eine spezifische Begleitung für die todgeweihten Verurteilten entwickelt? Der Seylers wie der Lannen wird die Nachahmung des heiligen Sebastian als Vorbild eines ungerecht Verfolgten empfohlen. Vielleicht wird auch vorgehalten, niemand zu „besagen". Diese Frage nach einer spezifischen Hexenpastorale wäre sicher eine weitere Untersuchung wert! Sind auch bei den Stadt luxemburger Rekollekten leise Zwei­fel am Sinn der Hexenprozesse aufgekommen?
Am gleichen Tag werden die Akten ein letztes Mal nach Luxemburg auf „avis " ge­schickt. Das Schicksal der Lannen Sünne ist besiegelt.
Der Koericher Prozess zeigt einerseits, dass sich eine von der Zentralregierung der Niederlande und dem Provinzialrat vorgegebene Rechtsordnung bis in die Herrschaftsgerichte durchgesetzt hat. Er lässt aber auch erkennen, welch ver­heerenden Folgen sich aus dieser Rechtsnorm ergeben, wenn sie von lokalem gesellschaftlichem Zündstoff genährt wird: Der Prozess entwickelt über die „Be­sagungen" eine Eigendynamik, die nicht mehr aufzuhalten ist. So bleibt er selten ein Einzelfall und springt über das gleiche Medium von Herrschaft zu Herrschaft über.

28 Sankt Margaretha wurde besonders von Frauen verehrt. Reuter Antoinette: Les saints protecteurs de la maternite en Ardenne et Luxembourg, in: Nauttre a utrefois ; Rites el folk­ lore de La naissance en Ardenne et Lu.x.emb ou rg, Bastogne 1993.
29 Dieses Detail weist auf die dies bezügliche Gelehrtendiskussion hin.
 

lm Raum steht, ob sich nicht doch auch in Luxemburg in kleinen Kreisen Bedenken gegen die Prozesse entwickelt haben. Mikrohistorische Untersuchun­gen der bereits bekannten späten Fälle und die Bearbeitung der Rechtsgut­ achten könnten wie auch das Aufsuchen neuer Quellen möglicherweise über diese Frage Aufschluss geben.

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